Am Samstag, dem 8. Juni 2024 wurden zur Erinnerung an die Familie de Heer unterhalb des Wasserturms diese Stolpersteine verlegt.
STOLPERSTEINE
Am Samstag, dem 8. Juni 2024 wurden zur Erinnerung an die Familie de Heer unterhalb des Wasserturms diese Stolpersteine verlegt.
Viele Menschen hatten sich versammelt, um an der Verlegung der Stolpersteine teilzunehmen. Nach einer kurzen Einführung durch den 1. Vorsitzenden des Heimatvereins Erhard Nötzel dankte Bürgermeisterin Heike Horn in ihrem Grußwort dem Heimatverein für die Initiative sowie allen anderen Projektbeteiligten und betonte die Wichtigkeit der Erinnerung und Mahnung, damit sich die Vergangenheit nicht wiederhole.
Erhard Nötzel schilderte dann das Schicksal der Familie de Heer. Anschließend erläuterte Norda Westerkamp, die in der Pension "Haus Dünenlust" aufgewachsen war, wie sie auf erste Zeugnisse der Familie de Heer stieß. Sie bat Christoph Lowes zu ihrem 10-jährigen Betriebsjubiläum im Jahr 2016 die Geschichte Ihres Hauses zu erforschen und dazu eine Broschüre zu erstellen.
Erst später tauchten nach intensiver Recherchearbeit die Informationen auf, die jetzt zur Verlegung der Stolpersteine und zur Publikation der
Broschüre "Das verlorene Café - Eine vergessene Geschichte von Langeoog" geführt haben.
Als nächstes sprach Schulleiterin Petra Ahrenholz: Das Gedenken an die Familie - wie auch an alle anderen durch den NS-Terror verfolgten, entrechteten und ermordeten Menschen - solle lebendig und in würdevollen Ehren gehalten werden. "Es ist wichtiger denn je!", begann sie ihre engagierte Rede, denn "die täglichen Nachrichten" machten sie "täglich fassungsloser" und bezog sich auf die rassistischen Ausfälle und den weltweit erstarkenden Antisemitismus der jüngsten Zeit. Man mache sich mitschuldig durch Ignoranz und "nicht wissen wollen", weshalb ihr die Wissensvermittlung und das "aktive Gedenken" an der Inselschule extrem wichtig sei: "Ich hoffe, dass wir an unserer kleinen Inselschule die Weichen richtig stellen." Als großen Vorteil des Lebens in einer Demokratie sehe sie die Möglichkeit, an Informationen zu gelangen - die Menschen in autoritären Systemen vorenthalten bleiben. Das wolle sie nutzen und zugleich "Grundwerte wie Empathie und Menschlichkeit" vermitteln, damit die "Botschaft 'nie wieder' kein leeres Versprechen bleibt".
Schulleiterin Petra Ahrenholz und der Vereinsvorsitzende Erhard Nötzel tauschten feierlich eine Kooperationsvereinbarung aus, in der sich die Schülerinnen und Schüler der 9. und 10. Klasse zur Pflege der Stolpersteine und zur jährlichen Auseinandersetzung mit der geschichtlichen Thematik verpflichten, wobei sie der Heimatverein unterstützten wird.
Gunter Demnig ist ein Künstler, der vor über 30 Jahren die Idee zu den Stolpersteinen hatte. Inzwischen sind mehr als 100.000 in fast 2.000 Gemeinden in 31 europäischen Ländern verlegt. Die Stolpersteine sind damit das größte dezentrale Mahnmal der Welt. Jeder Gedenkstein ist ein handgefertigtes Unikat, womit jeder Stein einen Menschen angemessen ehren soll. Gunter Demnig hat für seine Initiative zahlreiche Ehrungen erhalten. In fortgeschrittenem Alter verlegt Gunter Demnig aber nicht mehr alle Steine eigenhändig, vielmehr hat er sich ein Team aufgebaut, auch um der gestiegenen Nachfrage nach Stolpersteinen gerecht werden zu können.
Insofern muss es als große Ehre verstanden werden, dass Gunter Demnig zur Verlegung der Steine auf Langeoog persönlich angereist war.
Da das Gebäude der Familie de Heer, dem die Stolpersteine zugeordnet werden könnten, verlorengegangen ist, hat der Heimatverein eine Infotafel "Café Dünenschlößchen" zur Orientierung aufgestellt, die bis zur Verlegung abgedeckt war mit einer originalen Tischdecke, auf der die Buchstaben „D“ und „H“ eingestickt sind.
Am Haus Dünenlust in der Mittelstraße wurde ebenfalls eine entsprechende Infotafel aufgestellt, die Norda Westerkamp gespendet hat. Auch vom Lionsclub Gräfin Anna hat der Heimatverein eine großzügige Spende für diese Veranstaltung erhalten.
Zum Schluss haben alle Teilnehmer einen Augenblick innegehalten, um der Familie de Heer mit ihrer tragischen Leidensgeschichte zu gedenken und ihren Respekt zum Ausdruck zu bringen.
Fotos: Deff Westerkamp, Mayk Opiolla, Erhard Nötzel - Film: Wiebke Freye
Broschüre "Das verlorene Café - Eine vergessene Geschichte von Langeoog"
Der Heimatverein Langeoog hat diese Broschüre herausgegeben. Sie dokumentiert nach intensiver Recherchearbeit durch Christoph Lowes sehr detailliert und mit tollen Fotos aus den Alben der Familie de Heer bebildert die ganze Geschichte. Eine Einführung des Historikers Jörg Echternkamp ist der Geschichte vorangestellt.
Der Heimatverein hat sich dem Leitsatz verschrieben: "Nur wer die Vergangenheit kennt, kann die Gegenwart verstehen und die Zukunft gestalten." Der Verein hofft, dass diese Broschüre dazu beiträgt, ein Verständnis für die tieferen Ursachen von rassistischen und antisemitischen Entwicklungen zu fördern, um damit gemeinsam eine Zukunft zu gestalten, die auf Respekt, Toleranz und Menschlichkeit gründet.
Die Broschüre ist gegen eine Spende von 3 € (mindestens) in der Buchhandlung Krebs und natürlich auch während der Öffnungszeiten im Seemannshus erhältlich.
Auswärtige Interessenten können sie bestellen über kontakt@heimatverein-langeoog.de
Kurzfassung der Hintergrundgeschichte
Margarethe de Heer, geb. Raphael (*1890) und ihr niederländischer Ehemann Pieter de Heer (*1885) betrieben unterhalb des Wasserturms 1929 zunächst ein Milch- und Buttergeschäft, ab 1930 ein Café mit Konditorei.
Die Geschäfte liefen gut, so dass sie 1933 außerdem eine Pension in der Mittelstraße (Haus Dünenlust) erwarben, wo sie dann mit ihrem Sohn Heinrich (*1923) wohnten.
Margarethe de Heer stammte aus einer jüdischen Familie und war zum Christentum konvertiert. Von Nationalsozialisten als jüdisch stigmatisiert, wurden sie und ihre Familie Opfer antisemitischer Demütigung und Ausgrenzung. Hitlerjungen pöbelten Gäste des Cafés an, Unbekannte schmierten Hassparolen an die Fassade und ihr Personal wurde unter Druck gesetzt. Das Paar wurde für „politisch unzuverlässig“ erklärt, verlor die Konzession für Haus Dünenlust und durfte keine Werbung mehr machen. Zu ungünstigen Bedingungen mussten die de Heers 1936 das Café und 1938 schließlich die Pension verpachten. Die Familie wurde so um ihre wirtschaftliche und gesellschaftliche Existenz gebracht. Sie verließ Langeoog notgedrungen 1938/39 und rettete sich in die Niederlande.
Durch eine Zwangsversteigerung 1940/41 fiel Haus Dünenlust in die Hände einer „Arierin“, der Ehefrau eines SS-Angehörigen („Arisierung“). Das Café Dünenschlößchen wurde am 1. Juli 1940 durch einen Bombenangriff beschädigt. Auf Anordnung der Kommune wurde das durchaus noch
reparaturfähige Gebäude dann abgerissen und das Abbruchmaterial der Wehrmacht zur Wiederverwendung überlassen.
Nach dem Krieg erwirkte die Familie de Heer die Rückerstattung von Haus Dünenlust. Trotz der antisemitischen Verfolgung, die sie auf Langeoog erfahren hatte, kehrten Margarethe und Pieter de Heer 1951 auf die Insel zurück. Die Pension betrieben sie bis 1962. Eine Entschädigung für den Verlust des Cafés Dünenschlößchen erhielten sie nicht. Pieter de Heer starb 1954 und wurde auf dem Kirchfriedhof von Langeoog beigesetzt.
Heinrich de Heer und seine Frau Annie betrieben ein Eiscafé im niederländischen Winschoten. Sie unterstützten aber auch die Mutter tatkräftig im Haus Dünenlust.
Margarethe de Heer-Raphael zog 1962 zunächst in ein Seniorenheim im Kreis Leer, später in ein Pflegeheim in Winschoten - also in die Nähe ihrer Familie - wo sie 1972 starb. Margarethe wurde neben ihrem Mann auf Langeoog beigesetzt.